Um Stefan George
Erst im neunten Jahr erweise sich, ob eine Handschrift zu veröffentlichen sei, so war die Erfahrung und der Rat des Horaz.
Der Verfasser hat in dieser Wirrnis der Zeiten sich manchmal gefragt, ob nicht eine noch viel größere Spanne sich gebiete und ob es nicht zu warten gelte, bis aus Blättern, die heute bloße
Erinnerung zu bergen scheinen, wieder das Frührot eines neuen Tages leuchten mag. Doch so wie an Hand von Aufzeichnungen und Briefen die Niederschrift dieses Buches im Herbst 1940
begonnen wurde, um das Gedenken der letzten hohen Augenblicke der deutschen Dichtung und des deutschen Menschen festzuhalten und zu retten gegen die hereinbrechende
Nacht, so mag nun doch der Druck angezeigt sein, damit das klare Bild der Vergangenheit über neue Stürme hinweg bewahrt werde und in naher oder ferner Zukunft, verwandelt und verwandelnd, in
jungen Seelen wache, wecke und wirke.
Die Widmung am Kopf dieser Seite hat vor acht Jahren noch man Lebenden zu erreichen gehofft, denen der Verfasser durch den
Aufruf gemeinsamer Erinnerung stille Freude und leise Wehmut zu bringen wußte und deren reicher Widerhall manches Bild hätte runden und durch die Vielstimmigkeit des Chors das Gedächtnis
hätte farbiger und bewegter ausprägen und eingraben können. Sei es verstattet, aus der schmerzlichen Ernte, die der Tod in diesen Jahren unter den Nächsten hielt, einige Namen herauszugreifen.
Dahingegangen ist Ernst Gundolf an dem Tage, da das Reich der Antichristen zusammenbrach. Beim Nahen des Frühlings 1946 hat
das liebende Herz von Hanna Wolfskehl den letzten Schlag getan. In diesem Unheilsjahr 1948 starb am ersten Tag der hochbetagte, nah-verbundene Vater, und in der letzten Juni-Nacht verschied
der letzte der großen Altersgenossen von Stefan George, Karl Wolfskehl. Mit Ernst Gundolf sank der Merker ins Grab, der durch seine ruhige Sachlichkeit und seine unbestechliche Kritik das
Gleichgewicht des Freundeskreises mitgeschaffen und mitgetragen hatte. Mit Karl und Hanna Wolfskehl sind die beiden Getreuen dahingeschieden, die in schier unerschöpflicher
Lebenskraft dem meisterlichen Stern aus wechselnder Nähe während eines halben Jahrhunderts folgten, - die mütterliche Frau, deren strömende Liebe und deren handfeste Klugheit, deren
hingebendes Mitschwingen und deren naturhafte Verwurzeltheit so oft die vor Überreichtum sprengenden und mitteflüchtigen Gefährten in die liebende Gemeinschaft zurückfinden ließ, - der
Mann und Freund, der Dichter und Prophet, der bis an die Grenzen des Sagbaren, der bis in die mythischen Räume der Geschichte, der bis in unwirtliche Fernen des Weltalls schweifte und dessen
Gewißheit und Glück doch bis zur letzten Stunde blieb: des Größeren getreuester Trabant zu sein.
Ihr Gedächtnis wie das der Ungenannten, die in den gleichen Jahren in Deutschland und im Exil, heimatlos die Einen wie die
Andern, aus dieser arm gewordenen Welt geschieden sind, möge nun dieses Buch zugleich mit der Bildern einer schon ferneren Vergangenheit in eine neue Weltzeit tragen. Und es grüße die
jungen Freunde, die neu hinzugetreten sind, und es rufe die Unbekannten, auf daß dermaleinst wieder hohes Leben erblühe und auf neuer Erde neues Lied ertöne. In diesem Sinne sei mit der
Verheißung des Dichters geschlossen und begonnen:
Und schlingt das dunkel uns und unsre trauer
Eins das von je war - keiner kennt es - währet
Und blum und jugend lacht und sang erklingt.
Basel, im Juli 1948
Edgar Salin
Winke und Lehren ...
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