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36. Jahrgang InternetAusgabe 2002
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Stefan George

 

5.

Wägt die gefahr für kostbar bild und blatt

 

 In „Der Dichter in Zeiten der Wirren“ hat George von dem Prophetenlos gekündet, das sich seit Israels Zeiten immer wiederholt: verhört, verlacht und als unbequemer Mahner eingekerkert zu werden. In Gesprächen über Sokrates und Nietzsche nannte er als noch schlimmeres Schicksal: daß oft nicht nur die blinde Masse, sondern auch die zehnmal-gescheiten Gelehrten dem Warner, der das drohende Unheil mit Namen nannte, die Schuld an seinem Hereinbruch geben.

 Sehr verschieden ist das Verhalten der Großen in Wendezeiten, und manchmal mögen noch Zeitumstände und Wirkungsmöglichkeiten ihr Handeln in andre Bahnen lenken, als ihrem geraden Willen und ihrem fernen Ziel entspricht. Anläßlich der Vorlesung aus dem Kapitel über Platons Politeia, nach Billigung der Sätze über Platons Verbannung Homers aus seinem Neuen Staat, stellte George die Frage: „Glauben Sie, daß Platon schon aus dem Lehrgang der Akademie Homer fern hielt?” Vermutlich war die Antwort richtig, daß die Jünglinge, die in die Akademie eintraten, in früheren Jahren bereits Homer in sich aufgenommen hatten. Der Meister aber sagte nicht Ja noch Nein zu dieser Erwiderung, sondern fuhr nachdenklich fort: „Also müssen wir annehmen, daß kein geistiger Staat sich rein verwirklicht?“ Und nach einer Pause: „Wäre uns wohl Homer überhaupt erhalten, wenn Platon ganz gesiegt hätte?”

 In dem anschließenden Gespräch wurde an Hand der verschiedensten Beispiele untersucht, wie weit der Wille zur Erhaltung, wie weit Schicksal und Zufall in Epochen der Staaten- und Völker-Untergänge über die Bewahrung der uns kostbarsten Kulturzeugnisse entschieden haben. George zeigte, daß nicht nur heute, sondern auch in der Antike die Museen und Bibliotheken ein „sammelgrab“ gewesen sind; sie seien damals so leicht von den Barbaren zerstört und eingeäschert worden, wie es bald wieder geschehen werde, und nur ein paar frommen Mönchen, deren Namen niemand kenne, und einigen byzantinischen Humanisten hätten wir es zu danken, wenn wir heute noch und wieder aus unversehrten Schriften der Alten schöpfen können: „Lernt daraus für heute! Was Euch wichtig ist, schreibt ab und lernt es auswendig!“ Aber kein Wissen um die Gefahr dürfe dazu führen, sich dem notwendigen Lauf entgegen zu stemmen: „Es gibt Zeiten, in denen nur aus Trümmern neues Leben wächst.“

 Hier aber war und ist die Haltung Goethes zu bedenken, der sein eigenes Leben nach gegenteiligem Gesetz gestaltet und seine Selbstbescheidung als deutsches Vorbild dargeboten hatte. Was George hierzu äußerte, ist heute schwer verständlich zu machen, da noch seine abgrenzenden Worte zur Voraussetzung eine Gemeinsamkeit des Lebens hatten, wie sie inzwischen verloren ging und nie mehr wiederkehren kann. Selbst wenn einmal, wie es der Dichter voraussah, „neuster prunk der tuben“ lange zum Schweigen kam und alle Völker die Spuren des Großen in Weimar segnen und sie in Frankfurt suchen werden, und selbst wenn einmal die Gesichte von Goethe-Georges letzter Nacht in Italien sich erfüllen, – die Nähe und die Ferne zu Goethe werden dann notwendig anders sein, als sie es für Georg und einen Teil seiner Freunde gewesen sind. Von Georges Gedichten gibt „Goethe-Tag“ wohl viele Züge seines Goethe-Bildes, – in den Proseschriften der Jünger ist dazu noch einige Ergänzung zu finden, bei Kommerell wesentlich mehr als bei Gundolf, - indessen unwiederbringlich dahin ist jene geistige Verbundenheit der Enkel-Generation und jene stolze Abstandnahme, die einmalig dem Dichter eignete‚ der die erste Spanne von Goethes Wirkung als „Das Jahrhundert Goethes“ zusammen fassen und abschließen durfte.

 So wie oft die Enkel klarer als die Söhne die Größe des Ahnherrn ersehen und neidlos bekennen, so hatte George nicht wie die Romantik oder gar das sogenannte „junge Deutschland“ ein Goethesches Element in sich oder außer sich zu bekämpfen, sondern wo ihm – wie in der Wissenschaft – Goethesche Nach- und Spätwirkungen als bedenklich erschienen, ist er über diese hinweg geschritten und hat den eignen Blick und den Blick der Freunde zurück gelenkt zur Dichtung und zum Dichter selbst. Die Nähe, die sich dann offenbarte, trug die einzigartigen Züge der dynastischen Verwandtschaft, die sich wohl so umschreiben läßt: zur Abkunft vom Fränkischen Dichtergeschlecht, dessen Gipfel Goethe heißt und dem auch Mallarmé, Verlaine und Villiers zugehören, bekannte sich mit Stolz der große Enkel.

 Aber nicht über Goethe, sondern über Hölderlin führt die Ahnen-Reihe, die George an die Griechen bindet. Und nicht als Goethes, sondern als Dantes Bruder in Geist und Leib ist George erschienen: Die Familien des Geists vereinigen in sich nicht minder zahlreiche Ströme als die Familien des Bluts...

 Darum nun, weil diese Bindung, die wir die dynastische nannten, Georges Verhältnis zu Goethe stark mitbestimmte und weil die Ehrfurcht, die einen Grundzug des meisterlichen Wesens darstellte, dem großen Ahnherrn gegenüber noch ein schweigendes Ablehnen seiner Haltung verbot, – darum vollzog sich die angedeutete Abgrenzung nur im vielseitigen Hinweg darauf: daß nicht Alles, was Goethe gemäß war, auch noch uns heute gezieme. Es bringt keinen Gewinn, so etwa führte George aus, Goethe an Platon oder Platon an Goethe zu messen. Wohl stehen sie an einer ähnlichen Zeitenbiegung. „Aber Goethe spürte das Unheil nahen und hoffte doch, für seine Lebensdauer und noch einige Jahrzehnte darüber hinaus, den Umsturz aufzuhalten. Platon hat den Tod des Sokrates erlebt. Dann sind keine Illusionen mehr erlaubt.“

 Es hieße diese Worte vergröbernd und falsch deuten, hörte man in ihnen Bedenken gegen Goethesche „Illusionen“. Aber positiv: die Illusionslosigkeit stellt George hier als Platonische Eigenschaft fest und nimmt sie für sich selbst in Anspruch, – eine Illusionslosigkeit gegenüber allem Überlieferten und Bestehenden, die gespeist wird vom schöpferischen Glauben der eignen Gesichte und Geburten und die ihre Hoffnung setzt auf die Söhne der eignen Zucht und auf die noch Ungeborenen im neuen Reich des Geistes.

 George riet, einmal die pädagogische Provinz des „Wilhelm Meister“ mit dem platonischen Staat zu vergleichen. Dort habe Goethe den Vorhof seiner Politeia dargestellt, und zwar in einer auch für uns verbindlichen Form: der tauge nichts, der diese Schule nicht durchwandre. Aber der „Wilhelm Meister” ende mit der Bildung des Menschen. Hierin habe Goethe sein Ziel erblickt und erreicht. Denn noch schienen Staat und Gesellschaft wohl der Umformung, doch nicht der Erneuerung bedürftig, und vielleicht habe Goethe ernsthafte Hoffnungen auf Amerika gesetzt. Was uns jeden solchen Trost verwehre, sei nicht nur die seither eingetretene Verwesung der Welt. Der neue Zustand und die neue Aufgabe lasse sich in einen Namen zusammenfassen: Nietzsche.

 Aus den vielen Gesprächen über Nietzsche sei zunächst eine wichtige Erkenntnis vorweg genommen: Nietzsche gehört nicht im selben Sinn wie Pindar und Platon, wie Dante und Goethe und selbst Shakespeare zu Georges geistigen Ahnen. Sein Martyrium war George Zeichen und Zeugnis, daß eine Welt zu Ende ging, – aber die göttliche Verwerfung jener Welt bedeutete ihnen nicht eine Seligsprechung des unseligen „Vorfahr“, der an ihr zerbrach.

 Daraus daß Nietzsches Namen oder Schatten in Georges Gedichten mehrfach wiederkehrt und auch daraus, daß besonders viele Prosa-Schriften des „Kreises“ Erscheinung und Bedeutung Nietzsches behandeln, ist zu Unrecht auf eine Nietzsche-Nachfolge Georges und seiner Freunde geschlossen worden. Dem aber war nicht so. Wenn den Tauben und Toren, die den Warner im Wahn und Tod getrieben hatten, die unheimliche Gewalt des Mächtigen gezeigt, – wenn ihnen das Ereignis „Nietzsche“ in Bild und Lehre wach gerufen wurde, so hieß dies weder Ja noch Nein, weder Tadel noch Lob noch gar „Heroisierung”, sondern nichts Andres als Versichtbaren des Nicht-Gesehenen. Wer einen Alpen-Gipfel beschreibt, schafft auch nicht erst durch seine Darstellung die Gipfel-Eigenschaft. Aber freilich – nicht jedes Auge nimmt sie von selbst wahr, und mancher erschrickt und weiß wenig Dank, wenn ihm die Majestät gezeigt wird.

 Nun gibt es allerdings Ebenen, von denen aus der Gipfel gar nicht gesehen werden kann, während er auf andren sich drohend und wuchtig aufdrängt. Vom festen Grund Georges aus erschien den Schauenden das Große groß, – aber nicht alles Große ist Segen und Vorbild. Nietzsche selbst hat von sich gesagt: Ich bin ein Verhängnis, und als Verhängnis oder als „Mann des Schicksals“ hat auch George ihn gesehen und bezeichnet.

 Als Dichter der gemiedenen Gaue, dem „schon frost ums wirre haupt“ weht, wird der noch lebende Nietzsche im Franken-Gedicht der trüben Heimat mahnend entgegen gestellt, – als Donnerer, der auf das tote Weimar die letzten stumpfen Blitze sandte, und als Erlöser mit der blutigen Krone wird der tote Nietzsche im Zeitgedicht verklärt, das seinen Namen trägt, – als letzter Warner erscheint er im „Stern des Bundes“ nach dessen Weggang kein Arm mehr dem niederrollenden Rad in die Speichen greift. Es ist eine hehre Totenfeier, die George für den Gemarterten richtet. Aber ist es die Feier, die Nietzsche sich erträumte?

 Diese Frage mag am ehesten den tiefen Abgrund erkennen lassen, der George trotz aller Anerkennung von Nietzsche schied und mag zugleich verdeutlichen, wie völlig anders die Stellung Georges zu Nietzsche als die Stellung Platons zu Sokrates gewesen ist,– trotz aller Vergleichbarkeit Nietzsches mit Sokrates, die sich zunächst den Blicken bietet und die zeitlebens schwer auf Nietzsche selbst gelastet hat; denn Nietzsches nie abbrechender Kampf gegen Sokrates war eine immerwährende Auseinandersetzung mit sich selbst. Dies aber war die Zuversicht, in der Nietzsche im Kampf gegen seine Zeit sich bis zur Selbstvergottung steigerte: daß er nicht nur Opfer sei, sondern Führer zur Morgenröte einer neuen Welt. Nur dies aber war die Tat, die George als Nietzsches wirkliches Werk, als seine menschliche Leistung und geschichtliche Bedeutung erkannte: daß er „die klüfte aufriß und die lager schied”. Wenn George weiter sein Wirken dahin umschreibt, daß er „ein Drüben schuf durch umkehr eures Hier“, so liegt in dieser Anerkennung zugleich eine deutliche Abstandnahme. Denn der Dichter wußte und hatte die Seinen gelehrt, daß nicht aus einem „Gegen“, nicht aus einem „Umgekehrt“, daß nur „aus dem fernsten“ die Erneuerung kommt...

 Dadurch aber daß Nietzsche die Klüfte aufgerissen und den Wahnsinn der auf der Fahrt in den Abgrund noch nach Geld und Genuß gierenden Menschheit aufgedeckt hatte, war jener von George gemeinte Weltzustand erreicht, in dem Goethes ehrwürdige Haltung nicht mehr Vorbild sein, nicht mehr Nachfolge finden konnte. Allein, – fügen wir hinzu –, indem George erschien, ward die schlimmste Gefahr von Nietzsches giftigem Gegengift gebannt.

 Sokrates war den Athenern als Verführer der Jugend verdächtig. Und wirklich hat er wie Platon den schon matten Glauben an die homerischen Götter zerstört, – aus tieferem Glauben und als Künder des neuen Gottes. Auch Nietzsche kämpfte gegen einen müden Gott, – doch sein Weg führte in eine götterlose Öde, wo alles Leben erkaltet. „Gott ist tot“, – dieser verzweifelte Jubel des nihilistischen Gottsuchers führte in ein auswegloses Labyrinth. George, nach schweren Jünglingsjahren nun wie Platon des Gottes und seiner Berufung gewiß, stand jenseits des Wahns und des Abgrunds.

 Dies ist die tiefste Erklärung dafür, daß des Meisters Anerkennung von Nietzsches heroischem Kampf doch nie ein Bekenntnis zu Nietzsche meinen konnte. Im Gespräch führte George noch zwei andre, trennende Punkte an, die bedeutsam erscheinen für den Dichter wie für den Philosophen. Zunächst stieß sich Georg am Wort und an der Lehre vom Übermenschen. So sehr er es als begreiflich empfand und aussprach, daß Nietzsche angesichts der Blindheit und Taubheit seiner Zeitgenossen immer lauter schrie und schließlich sich überschrie, – das allzu Laute was George doch schwer erträglich, die Übersteigerung dünkte ihn Gefährdung des schönen Maßes. „Das Gekrisch nach dem Übermenschen“, sagte er (29. September 1920.) „fördert nur die Heraufkunft des Untermenschen. Ist es nicht besser, ganz bescheiden dafür zu sorgen, daß einmal der Mensch wieder dem höchsten Anspruch genügt?“ Auf die Gegenfrage, ob dies nicht doch wieder zum Goetheschen Bildungsideal zurück führe, erfolgte die Antwort: „Nein.“ Der Goethesche Mensch sei, wie Nietzsche unwiderleglich festgestellt habe, zum Bildungsphilister entartet. Der volle, runde Mensch, um den allein es heute gehe, sei der in der Gemeinschaft gebundene und sich entfaltende Mensch, nicht der humanistisch verbildete, sondern der sich nach dem griechischen Muster bildende und mit ihm wetteifernde Jüngling.

 Noch stärker war der Einwand, der sich aus Nietzsches Charakter herleitete. Ob es nur Nietzsches Schicksal war, fragte George, daß sich kein Liebesring um ihn schloß und ob sich nicht bedenkliche Seite seines Wesens in seiner Unfähigkeit zur Gemeinschaft zeigen? – Nietzsche hat Wagner verraten. Wollen Sie diesen Treubruch rechtfertigen?”

 Die Erwiderung schien erlaubt, daß Aristoteles Platons Weg verlassen und manche Platonischen Lehren bekämpft habe, ohne daß man von Treubruch sprechen könne. Und im Abfall Nietzsches von Wagner glaubte der Jüngere die notwendige Folge der Tatsache zu sehen, daß Nietzsche zu sich selbst gefunden, Wagners Schauspielertum durchschaut und darum sich von ihm abgewandt habe. „Trauen Sie mir zu, daß ich etwas für diesen schlechten Mimen und seinen Walhall-Schwindel sage?”, antwortete George. „Hier geht es um Andres. Wagner, der auf dem Theater scheußlich verlogene Wagner, hat in seiner Jugend ehrlich den Kampf gegen das 19. Jahrhundert aufgenommen, Nietzsche war nur sein Gefährte. Und Wagner war Nietzsches Meister! Keine „Geburt der Tragödie”, kein Nietzsche ohne die Erweckung durch Wagner! Nein, nein – Nietzsche hat Wagner verraten! Wenn er wirklich über ihn hinauswuchs, dann hätte er schweigend von ihm gehen können. Aber dieses Getöse, diese angebliche Entlarvung! Nietzsche selbst hat ganz genau gewußt, daß der Fall Wagner auch ein Fall Nietzsche ist.

 Nicht jede Größe, – so ward oben in Georges Sinn gesagt, – ist vorbildlich. Die letzten Sätze machen es nach jeder Richtung deutlich, warum diese Einschränkung in besonderem Maß gegenüber Nietzsche zu beachten ist. Und dennoch war er nicht nur Kronzeuge, sondern Wegbereiter des Neuen Reichs Georges in einer Ausschließlichkeit, die mit jenen seinen bedenklichen Schwächen ebenso untrennbar zusammenhängt wie mit seinen schönsten Gaben und wuchtigsten Werken. Denn nur wen Anlage und Schicksal zur frierenden Einsamkeit verdammte,– nur wen der verzweifelte Schrei über den Wahnsinn der Widerwelt pfeilgerade in eigenen Wahn riß, – nur der konnte mit erbarmungslosem Schnitt den dünnen Lebensfaden der alternden Welt durchschneiden. George schreckte vor keiner notwendigen Absage und Trennung zurück, – nicht im menschlichen, nicht im geistigen Bereich; aber gerade da das Werk der Verwerfung durch Nietzsche bereits geschehen war, durfte George der gütigen Menschlichkeit Raum gegen, die seiner Natur und seiner Auffassung der dichterischen Aufgabe entsprach.

 Selbst „Der Brand des Tempels“, in dem der ritterliche Barbaren-Fürst sich das Geschenk der Gnade versagt, in dem die reinste Blume der Frauen freiwillig in den Tod geht und die Flammen den Tempel und die Priester verzehren; – selbst dieser Sang endet nicht „mit Fluch”, sondern mit der kaum für die Sterbenden, kaum für die Hörer von Damals und Heute, doch späten Enkeln tröstlichen Aussicht auf die Wiedergeburt nach einem halben Jahrtausend. Wer darauf achtet, wird bemerken, daß ähnlich jedes Werk Georges mit einem Bild oder einem Vers oder einem Gedicht endet, die noch über das trostloseste Dunkel einen Schimmer der Hoffnung breiten (In Tage und Taten wird sogar von jedem einzelnen Gedicht gesagt, daß es unecht ist, wenn „es schwärze bringt ohne jeden lichtstrahl.“) „Es gibt einen Grad der Hoffnungslosigkeit, sagte George über Nietzsche, an dem die Kraft zum Leben und der Mut zum Handeln erstirbt.“ George hat das Seine getan, um durch Zuruf und Zuspruch die Seinen vor dieser Verzweiflung zu bewahren.

 Aber nicht minder gefährlich als erschöpfte Hoffnungslosigkeit erschien ihm leichtsinnige Hoffnungsseligkeit. Nach den Krankheitstagen von 1920 verglich er einmal (7. Oktober 1920.) die Nachkriegsjugend mit Wolfgang: „Ich kann mich an dieser leichten Unbeschwertheit nicht nur freuen. Bei Wolfgang wußte man: wenn sich die Schwere von ihm hebt, wird ein geistiger Quell sprudeln. Hier sprudelts dauernd – aber meist ists ein leeres Gedibber (Das Wort „Gedibber verwandte George damals oft, um die plätschernden Gespräche der Jüngsten zu kennzeichnen.) Und der Meister warnte davor, diese Jungens im bequemen Glauben zu lassen, daß ihnen, „weil es geschrieben steht“, die Welt zufalle. „Wer von Euch weiß denn, was geschrieben steht? Wenn Ihr Alle so lebt wie Ihr sollt, dann werden Spätere die Deutung wissen. Aber verlaßt Euch darauf: Wenn Ihrs nicht tut, dann wissen sie’s auch, – nur anders, als Euch lieb ist.